G. Goldsworthy formuliert in seinem exzellenten Buch diese Fragestellung (siehe: GOLDSWORTHY, Graeme: Preaching the Whole Bible as Christian Sscripture. Grand Rapids, Mich: W.B. Eerdmans, 2000, S. 46-62).

Was aber versteht Goldsworthy unter einer biblischen Theologie: "biblical theology involves the quest of the big picture, or the overview, of biblical revelation. It is of the nature of biblical revelation that it tells a story rather then sets out timeless principles in abstract. … If we allow the Bible to tell its own story, we find a coherent and meaningful whole" (S. 22).

Nun aber zur eigentlichen Fragestellung: War Jesus ein biblischer Theologe? Ich gebe im folgenden wie wesentliche Argumentationsstruktur des Kapitels wieder.



  1. Jesus' Haltung zur Schrift

    Der Trend in der Verwendung des AT im NT geht meist dahin, dass die rabbinisch-jüdischen Auslegungsmethoden (Schule des Hilel etc.) meist Berücksichtigung finden. Das kann gewinnbringend sein, birgt aber die Gefahr in sich, die Einzigartigkeit von Jesus zu übersehen. Nach Lk 24,45 ist es der auferstandene Christus, der den Jüngern die Augen öffnet, nicht ihr Studium der gegenwärtigen Auslegungspraxis. Bei all der Berechtigung für das Studium der Methoden lasst uns nicht vergessen, dass die Person und das Werk des Jesus von Nazareth einen breiten Graben zwischen die Auslegung der Christen und Juden gebracht hat (S. 46).

    Die evangelikale Sicht über die Autorität der Schrift leitet sich vom Verständnis Jesu über die Schrift ab. Und bei ihm kann vielfach gezeigt werden, dass er (Jesus) das AT als autoritative Quelle verwendet (Mt 5,17f; 9,13; 12,3.5; 19,4f; 21,16.42; Mk 12,24; Joh 10,35) (S. 47).


  2. Jesu Sicht/Verständnis über sich selbst



    1. Der Erfüller/Vollender der Schrift

      Jesus versteht sich nicht so, dass er etwas völlig Neues schafft bzw. lehrt. Jedoch wird "the gospel event" als Vervollkommnung und Erfüllung aller göttlicher Heilstaten und Verheißungen im AT gesehen. Dabei hat sich Jesus als der Vollender der ganzen Schrift und nicht einzelner Passagen gesehen (z. B. Mt 1,22; 2,15.17.23; Joh 5,39.46-47; 12,38; 18,32 u. a.). (S. 48)


    2. Der Sohn des Menschen

      Dies ist der meist gebrauchte Titel Jesu über sich selbst. G. E. Ladd identifiziert in den Evv. Drei Kategorien dieses Titels: 1) Der irdische Sohn des Menschen: Jesus betont, dass die Person aus Dan 7, die er auf sich hin interpretiert, als Mensch und Menschen erscheinen wird (S. 48f). 2) Der leidende Sohn des Menschen: Der Menschensohn aus dem Danielbuch erreicht seine Mission nicht durch das Leiden. Jesus dagegen interpretiert dieses Titel um (vgl. Mk 8,31). Der königliche Status dort und der leidende Moment hier (übrigens hat David sehr häufig trotz seines Königsdaseins sein Leid beklagt, sh. Psalm 22) kommen hier zusammen. Für Ladd hat Jesus "consciously united in his person the two central concepts of the Jewish faith, barnasha (Son of Man) and ebed yahweh (the servant of the Lord)" (bei S. 49). 3) Der apokalyptische Sohn des Menschen: Im Danielbuch ist die Apokalypsis herausragend und wirdm eist auf 2. Kommen Christi hin interpretiert (S. 49). Jedoch müsste man von Mt 16,28/Mk 9,1 auch interpretieren, dass auch das 1. Kommen impliziert ist. Hier könnte die Himmelfahrt Jesu uns einen Schlüssel geben, um nochmals beide Ereignisse im Danielbuch vorgezeichnet zu sehen (S. 49f). Zusammenfassend: Es zeigen sich einige biblisch-theologische Prinzipien bei Jesus: Er sieht seine Beziehung zum AT als eine von Kontinuität und Erfüllung geprägte (S. 50). Im Gegensatz zum Jugentum schlägt er bisher unbekannte Pfade ein, indem er von sich behauptet, die ultimative Offenbarung zu sein, die eine korrekte Auslegung des AT möglich macht. Er zeigt auch eindeutig, dass das AT nicht richtig verstanden wird, wenn es getrennt von ihm interpretiert wird (vgl. insbesondere Joh 5). Nun müssen wir also beides beachten: Während es natürlich richtig ist, dass das AT uns hilft, das NT "richtig" zu interpretieren, ist es ein übergeordnetes Prinzip, dass das Evangelium, das im NT dargestellt wird, die definitive Auslegung des AT bestimmen muss (S. 50).




  3. Jesu Sicht/Verständnis der Heilsgeschichte

    Christus predigt vor allem über das Reich Gottes (Mk 1,14f). Jesus versteht sich als der Bringer dieses Reiches, in dem die Erwartungen Israels aus dem AT erfüllt werden. "Untimately it is the royal Son of David's progress to Jerusalem to suffer, die, and to rise again that is at the heart of the coming of the kingdom" (S. 50f). Das Jesus sich auf die Predigt über das Reich konzentriert, ist ein Indiz, dass das Reich Gottes das zentrale und alles beherrschende Thema der Theologie des AT ist, auch wenn die Vokabel "Reich Gottes" nicht in allen Texten des AT erscheint (S. 51).

    Im folgenden spricht sich Goldsworthy dann aus, dass das Reich Gottes als Mitte der Schrift akzeptiert werden kann (S. 51f). "Jesus is portrayed in the Gospels as focusing on the kingdom of God, and not on some new concept that he then had to explain, but on a concept known to his hearers that he then clarified in terms of his own person and ministry" (S. 52).


  4. Die Apostel und die Post(Nach)-Auferstehungs-Erscheinungen

    Die Evv. Stellen die Jünger häufig als solche dar, die nur langsam und mühsam "lernen" bzw. begreifen, was vor sich geht. Es gäbe einige Gründe hierfür, aber einer der Hauptgründe ist der, dass die Jünger ihr bisheriges Paradigma des Denkens (Judentum) aufgeben und ein neues Paradigma, in dem Jesus das Zentrum ist, finden müssen (Christentum). Es war ihnen mühsam, wesentliche Konzepte des AT/Schlüsselmomente des AT in Beziehung mit dem kommenden Reich Gottes zu bringen (S. 52f). Beispiel: das Leiden des Messias (S. 53).


    1. Die neue Hermeneutik (Das Evangelium)

      Die Emmausjünger sind ein represantives Beispiel dafür, wie schwer es war, den leidenden Messias und das Kommen des Reiches zueinander zu bringen. Es ändert sich nach der Begegnung mit dem Auferstandenen (S. 54). Lk 24,27.45-47: "This point cannot be emphasized enough for it signifies that the meaning of all scriptures is unlocked by the death and resurrection of Jesus. … Can we truly and faithfully expound any text of Scripture apart from this heart of the gospel event?" (S. 54)


    2. Die Reorientation der Erwartungen und Weltanschauung der Jünger

      Wenn man der Argumentation Jesu in Lukas 24 folgt, sind es zwei Ereignisse, die für alle Zeit das Wesen der Kirche beeinflussen würden: die Himmelfahrt und Pfingsten (S. 55). So wie Jesus aufgefahren ist, so wird er – vgl. Dan 7 – auch wiederkommen. Dazwischen wird die Kirche mit dem Heiligen Geist ausgerüstet. "Thus the church is an eschatological reality whose ministry to all nations is a sign that we have come to the end of history in a particular sense (S. 56).




  5. Die Apostel und der Post(Nach)-Pfingsten-Dienst(ministry)



    1. Die Zentralität der Auferstehung

      Die Auferstehung ist gegenüber dem Kreuz ein oft vernachlässigtes Moment (S. 57). Anders die Apostel, sie betonen die Auferstehung, auch wenn sie das Kreuz dabei nicht vergessen (S. 57f).


    2. Die Beziehung zwischen dem Evangelium und dem Leben als Christ

      "If eternal life is not the reward of meritorious living but the gift of grace, then all ethical imperatives are given as implications of the gospel and should be clearly seen as such" (S. 59).




  6. Die Anwendungen für die Homiletik



    1. Über wen spricht die Bibel hauptsächlich?

      Die Bibel ist in erster Linie über Gott und seine Heilstat in Jesus Christus (und zwar auch das AT!, S. 60). Das muss der Prediger ständig deutlich machen (S. 60f).


    2. Wie ist die Bibel relevant für uns?

      Relevanz ist relativ (S. 61). Wichtiges Prinzip: "Since it is the gospel that, by revelation, shows us the real nature of our human problem as well as God's answer to it, relevance has to be assessed by the gospel" (S. 61).




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